6 spannende Monate Afrika liegen hinter mir,

begleitet mich jetzt erneut für 2 Wochen zurück in die Perle Afrikas...


Samstag, 14. März 2015

Perspektivenwechsel



Nach zahlreichen Schilderungen von Jessi über Afrikas wunderbare Perle, habe heute ich die Ehre, meine Eindrücke zu schildern. Leichter gesagt als getan! Auf den ersten Blick sind wir ins Paradies gereist: Sonne, gut gelaunte, freundliche Menschen, leckere, saftige Früchte, ein klarer, riesiger See, eine wunderschöne, vielfältige Landschaft, strahlende Kinderaugen und lachende, fröhliche Gesichter. Willkommen in Entebbe. Willkommen in Uganda. Willkommen im Malayaka Haus.

Vor uns lagen 12 Tage im toll organisierten Waisenhaus. Viel zu wenige, wenn ich ehrlich bin. Dessen wird man sich allerdings erst bewusst, wenn man angekommen ist. Und das ist man definitiv nicht am ersten Tag. Es braucht Zeit, um zu begreifen, wie magisch der Ort eigentlich ist. Tragische Schicksalsschläge werden durch bedeutende Augenblicke und besondere Momente ersetzt. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten oder vielleicht dritten realisiert  man, dass hinter jedem Lachen, hinter jedem Versuch, die Aufmerksamkeit von uns Aunties oder den Uncles zu erhaschen, hinter der Freude über Mitbringsel oder dem wilden Herumgerenne viele individuelle Schicksale stecken, die man nach zwei Wochen absolut nicht zu durchschauen vermag. Ob man es überhaupt verstehen kann, ob sich die Kinder und Jugendlichen jemals gegenüber uns öffnen würden, ob sie es selbst realisieren und oft darüber nachdenken? Für mich bleibt vieles ungeklärt.


Zurück zur Magie. Zurück zum Malayaka Haus. Zurück zu 80 strahlenden Kinderaugen. Zurück zu einem wunderbaren Ort der Geborgenheit, der Lebensfreude, der Menschenliebe, des Zusammenhalts. Neben zehn Hunden, einigen Katzen, zwei Schweinen, zig Hühnern und wechselnden Volontären leben hier an die 40 Kinder im Alter von vermutlich einem bis hin zu siebzehn Jahren. Betreut werden diese von fünf ugandischen Aunties, die sich liebevoll um sie kümmern, Essen zubereiten, die Hausaufgaben betreuen, kochen, waschen, bügeln, putzen, … . Unterstützung erhalten sie von Freiwilligen unterschiedlicher Herkunft. Während wir hier waren, traf man auf eine Italienerin, einen Spanier, eine Amerikanerin und drei Deutsche. Manche verbringen, wie ich, zum ersten Mal Zeit im Malayaka Haus, andere kommen immer und immer wieder. Gefesselt und begeistert vom magischen Ort.

Nach einem langen Flug wurden wir am Flughafen abgeholt und mitten in der Nacht zu diesem schönen Flecken in Lunyo, einem von Entebbes Stadtteilen nahe Entebbe Town, dem Stadtzentrum, gebracht. Roter Sand führte uns vor die Tore des Waisenhauses. Jessis Augen begannen zu strahlen. Die Vorfreude stieg – obwohl wir wussten, dass die Kinder schlafen und niemand unsere Ankunft bemerken würde. Nach einer ruhigen Nacht wurde es ernst: Würden die Kinder ihr „Auntie Jessca“ sofort wiedererkennten? Zwei Jahre sind eine lange Zeit und viele Kinder waren 2013, als Jessi mit Auntie Pia zu Besuch war, noch sehr jung… . Aufgeregt zogen wir uns an und öffneten unsere Türe. Vor dem Guest House, in dem wir unterkommen, frühstückte Uncle Leo, der dritte Freiwillige aus Deutschland, und unterhielt sich mit Johnny, einem vielleicht neun- oder zehnjährigen Jungen. Ein Blick in unsere Richtung. Ein zweiter… „AUNTIE JESSI!!!!!“ Ein Moment, den ich niemals vergessen werde. Erleichterung in meinen Augen, Begeisterung in seinen und absolute Glückseligkeit in den Augen meiner besten Freundin. Magisch! Einfach wunderschön. Nach einiger langen Umarmung rannte der Kleine aufgebracht zu den anderen Kindern, die uns alle herzlich begrüßten und sich riesig darüber freuten, ihre liebe Auntie wiederzusehen: „AUNTIE!! YOU CAME BACK!!“ :)

Jessis Plan, mich langsam herumzuführen und mir alles nach und nach zu zeigen, scheiterte sofort. Jede von uns hatte an jeder Hand ein Kind und wurde über die gesamte Anlage geführt. Alles wurde stolz präsentiert. Vieles hatte sich verändert, nichts hatte ich mir auch nur im Ansatz so vorstellen können, wie ich es vorfand. Liebevoll gestaltete Wände, Beete hinter den Häusern, eine tolle Library, in der die Kinder ihre Hausaufgaben machen oder lesen können, zwei Küchen, ein Esszimmer, die Feuerstelle, der Pizzaofen, ein Spielplatz, die Zimmer der Kinder und und und… . Wow! Mittlerweile besteht die Einrichtung aus vier bewohnten oder bewohnbaren Häusern und diversen Hütten oder Anbauten. Eines teilen sich die kleineren Kinder bis circa 13 oder 14 Jahren mit den großen Jungs, eines die älteren Mädels mit dem Craft Shop, in dem allerlei Stoffe verarbeitet werden. Das dritte Haus bewohnen die Volontäre, im vierten findet man die Library. Draußen tummeln sich die Hunde und Katzen, einige Helfer, die die Anlage pflegen und die Aunties, die ihren täglichen Aufgaben nachgehen.

Nach unserer Tour durch das Malayaka Haus ging es turbulent weiter: Ab in den Zoo. Im Schulbus fuhr uns Leo in die nahegelegene Anlage. Selbstverständlich entsprach die Fahrt nicht unseren deutschen Sicherheitsansprüchen. Das würde hier aber auch nicht funktionieren, schließlich ist es Luxus, sich die Plätze nicht teilen zu müssen und komfortabel zu sitzen. Diesen Luxus, der für uns selbstverständlich ist, kann man sich hier nicht leisten. Nachvollziehbar, finde ich. Bislang wurde für diese Fahrten ein deutlich kleineres Auto verwendet, mit dem uns Leo auch abholte, weil das große leider nicht mehr fahrtauglich war. Trotz einiger fehlender Sitzplätze kamen auch in diesem Auto alle unter. Die großen Kinder und Aunties nahmen die kleineren auf den Schoß und jeder achtete auf den anderen. Schön, diesen Zusammenhalt zu beobachten. Nicht ein Murren, kein Geschrei, kein Gezicke. Ungewöhnlich, wenn ich an die Welt, in der ich aufgewachsen bin, denke. Ein Perspektivenwechsel.

Dieser vollkommen andere Umgang mit alltäglichen Situationen lässt sich auch in vielen anderen Momenten erkennen. Er hat mein Bild vom Malayaka Haus und Uganda geprägt:


  • Stellt euch vor, einer eurer Freunde hat eine Packung Smarties. Er bietet euch diese an, ihr nehmt gerne an. Man schüttet euch die Smarties in die Hand. Was tut ihr? Vermutlich schüttet ihr diese sogleich in den Mund. So mache ich das, wenn ich ehrlich bin, jedes Mal. :) Dieselbe Situation, dieselbe Smartiepackung – im Malayaka Haus. Noch nie habe ich gesehen, dass jede einzelne Linse analysiert wird, aufgebissen und das Innere erkundet wird. Es wird abgeleckt und beobachtet, wie sich die Farbe ändert. Sie werden in der Sonne geschmolzen und von der Hand abgeleckt. Sie werden in Wasser gebadet und genüsslich gegessen. Einfach süß.
  • Eine andere schöne Situation ereignete sich nach der Schule. Einer der größeren Jungs stieg aus dem Schulbus aus, kam zu den kleineren gelaufen, öffnete seine Schultasche und holte erst ein Pausenbrot, dann eine kleine Tüte Kakao und eine Packung Kekse (er hatte alles vermutlich in der Schule erhalten) heraus. Dann teilte er alles, auch die Trinkschokolade, mit den kleineren Kindern. Niemand wurde vergessen, alles wurde gerecht geteilt.
  • Selbstverständlich ist hier nicht nur das Teilen, sondern auch für den Abwasch oder das Reinigen der Kleider in großen Waschkübeln verantwortlich zu sein. Auch hier gilt: Kein Gezicke, kein Gejammer, kein Genörgel.
     
  • Was mich seit dem ersten Tag beschäftigt, ist der Schlafsaal der jüngeren Kinder. 18 Malayaka Kids schlafen hier zusammen mit zwei Aunties (es wird sich täglich abgewechselt, wer über Nacht bleibt, da die Ugandischen Aunties schließlich alle selbst Familien haben). 14 Betten sind als sechs Stockbetten auf ca. 25 Quadratmeter verteilt. Ein in der Ecke stehender Eimer dient als Toilette und wird von allen Kindern, die nachts aufs Klo müssen, verwendet. Ob er abgedeckt wird, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Das Zimmer hat keine Tür und führt direkt ins Treppenhaus.

Dieser gemeinsame Schlafsaal verdeutlicht, was mir im Malayaka Haus so richtig bewusst wurde: Ich hatte eine sorgenfreie, luxuriöse und unfassbar behütete Kindheit. Ich hatte mir zu Beginn ein Zimmer mit meinem kleinen Bruder „teilen müssen“ und schon bald mein eigenes Reich. Mit meinen Spielsachen. Mit eigenen Klamotten. Mit einem Rückzugsort ganz für mich alleine. In Entebbe ist das anders. Nahezu jedes Geschenk, das wir aus Deutschland mitbrachten, wurde geteilt. Gespielt wurde gemeinsam oder abwechselnd. Die Klamotten kamen zu den Aunties und wurden von diesen verwaltet und verteilt. Nur ein paar Kuscheltiere oder Spielzeugautos fanden einen Besitzer. Stolz wurden diese präsentiert und auf dem Bett drapiert. Je mehr man über diesen besonderen Zustand nachdenkt, desto öfter stellt man sich die Frage, ob sich die Kinder dessen bewusst sind, oder ob es für sie einfach zur Normalität gehört. Ich wage es zu bezweifeln und bewundere diese Zufriedenheit umso mehr. Es ist diese andere Sicht auf die Dinge, die mich fasziniert. Ein Perspektivenwechsel.


Zufriedenheit. Das Stichwort, auf das ich mich gerne weiterhin beziehen würde. Könnt ihr euch vorstellen, Urlaub zu nehmen und zufrieden zu sein, wenn ihr bis nachts wach seid, um für andere zu backen und morgens um 6:20 Uhr aufzustehen, um das Frühstück zu servieren? Wenn es euch Spaß macht, täglich unterschiedlichste Hausaufgaben zu betreuen? Ich kann euch sagen: Es gibt nichts Erfüllenderes. Jeder noch so kleinen Selbstverständlichkeit wird mit Dank begegnet. Jeder Aktivität wird gerne nachgegangen. Jeder Tag ist vollgepackt und einfach nur schön. Für meine liebe Jessi, die das niemals so ausführlich schreiben würde und mich gerade auch darum gebeten hat, diese Passage zu löschen :), gehört das zum Malayaka Alltag. Für sie ist es selbstverständlich. Sie würde sich nicht damit hervorheben wollen. Ihre Hilfsbereitschaft und Begeisterung sind beeindruckend. Und steckt an. Schnell wurde ich ein Teil des Malayaka Lebens. Auntie Sandra. Angeleitet von Jessis vielen Ideen und voller Tatendrang gestalteten wir viele Nachmittage für die Kids. Auch beim Frühstück konnten wir ihnen eine Freude bereiten. Nehmt teil an unserem täglichen Programm und taucht ein in unsere Malayaka Welt.

Frühstück:
Da das Frühstück für uns die wichtigste Mahlzeit am Tag ist, lag es uns am Herzen, morgendliche Vielfalt zu schaffen und den Kids einen guten Start in den Tag zu  ermöglichen.

Statt Porridge oder Popcorn gab es so an jedem zweiten Tag eine süße Kostbarkeit. Die vielen Spenden aus Deutschland verarbeiteten wir zu leckeren bunten Muffins, selbstgemachtem Hefezopf oder schmierten den Kindern die geliebten Marmeladentoasts – selbstverständlich mit vielen bunten Streuseln dekoriert, auf die die Kinder ganz besonders abfahren. Alles wurde ab 6:30 Uhr verteilt, sodass auch die großen Mädels einen süßen Start in den Tag hatten.



Nach dem Frühstück blieb uns etwas Zeit für uns, die wir „Fruitgetarier“ für unser Frühstück (unfassbar, wie lecker die Früchte hier sind!!!), etwas Sport, Besorgungen für das weitere Programm (wir waren in den kleinen, lokalen Shops sehr gern gesehene Gäste: „Thank you for your support!“) oder Sonstiges nutzten. Hervorheben möchte ich die Fahrten auf den Motorrollern – den beliebtesten Fortbewegungsmitteln, den „BodaBoda“. Zu dritt (der Fahrer, Jessi, ich) auf einem Rad durch die Landschaft zu düsen, die Sonne und den angenehmen Fahrtwind zu spüren, ist jedes Mal ein besonderes schöner Moment.

Nachmittagsprogramm:
Gegen 14 Uhr starteten wir mit unserem Nachmittagsprogramm, das mit der Ankunft von fünf der kleineren Kinder: Der dreijährige Strahlemann Diego, seine vierjährige Schwester Mercy, Sonnenschein Amina, der freche Elijah und der schüchterne Arnold, der zusammen mit Georgy erst im Laufe des letzten Jahres ins Haus kam. An einem der ersten Tage verteilten wir das mitgebrachte Playmobil und Lego und konnten beobachten, wie unterschiedlich mit den Figuren umgegangen wurde. So verging die Zeit bis zu Ankunft der größeren Schulkinder um 16 Uhr  recht schnell und das Nachmittagsprogramm änderte sich schlagartig: Hausaufgabenbetreuung. Diese wurde zu einen unserer Hauptaufgaben, die täglich circa zwei Stunden in Anspruch nahm (kein Wunder übergaben uns die Aunties den Schlüssel liebend gerne), da einige der Kinder wirklich viele Übungen zu erledigen hatten und selbstverständlich müde und erschöpft vom Tag waren. Mathe, Science oder Literature – unsere Englischkenntnisse wurden in vielerlei Hinsicht auf den Prüfstand gestellt.

Specials:
Um den Alltag etwas zu entfliehen und den Kindern etwas Besonderes zu bieten, organisierten wir  - dank diverser Spenden – einige besondere Programmpunkte oder nahmen an den bereits etablierten, wie der „Movienight in einer nahgelegenen Bar für die größeren Mädels, teil. Auch bildete ein von Uncle Tony organisierter Ausflug zum Fußballfeld ein Highlight für die Malayaka Kids. Trotz der Niederlange unseres Teams war die gemeinsame Freude über beide Tore riesig (sobald wir wieder in Deutschland sind, muss ich unbedingt ein Video des Torjubels hochladen – das kann man sich echt nur vorstellen, wenn man es gesehen hat :) ). Mit dem anschließenden Barbecue wurde der Tag abgerundet. Auntie Jessi und ich bereiteten mit Hilfe von ein paar Kids das Essen zu, die großen Mädels halfen uns beim Verteilen. Alle hatten einen tollen Abend voller Tanz, Gesang, Lachen und absoluter Glückseligkeit.

Auch das vor einigen Jahren von Jessi eingeführte Sweety-Game fand bei den Kindern großen Anklag und wurde schon sehnlich erwartet. Die auf dem Gelände verteilten Süßigkeiten wurden schnell gefunden und fair verteilt.

Da sich die großen Mädels zu erfolgreichen Rugbyspielerinnen entwickelt hatten, besuchten wir eine ihrer Trainingseinheiten. Leider wurde der Platz auch von Fußballspielern beansprucht, sodass ich nicht in den Genuss ihrer Skills kam. Schade! Gemeinsame Zeit mit ihnen fanden wir auch an einem der letzten Abende, an dem wir zusammen saßen und bastelten, sangen, lachten und die Zeit genossen. Das Ergebnis werdet ihr hoffentlich bald zu Gesicht bekommen.

Nun liegen noch 1,5 Tage im Malayaka Haus vor uns. Jessi und ich verbrachten zwei Nächte auf einer der Ssese Islands und genossen Ugandas wunderschöne Natur und Zeit nur für uns beide. Ich bin gespannt, was uns zurück in Entebbe erwartet und bin definitiv noch nicht bereit für die Heimreise nach Deutschland. Die Reise in Jessis afrikanische Perle hat sich definitiv gelohnt. Sie hat Eindruck hinterlassen und zum Nachdenken angeregt. Sie hat mich angeregt, anders über Alltägliches nachzudenken und hat mich am Zauber des Malayaka Hauses teilhaben lassen. Ich habe miterlebt, dass jeder Euro ankommt und definitiv Verwendung findet. Sei es beim Neubau des Spielplatzes für die Kinder, das tägliche Essen, Wasser, Benzin für den Schulbus oder das Schulgeld. Ich habe erleben können, wie man sich über jedes mitgebrachte Kleidungsstück, den Schmuck, die Schminke oder die Backzutaten gefreut hat. Ich habe die Dankbarkeit und Lebensfreude der Kinder und Aunties gespürt.

Danke Malayaka Haus. Danke Entebbe. Danke Uganda. Danke, an meine beste Freundin. Auf Wiedersehen. Und das meine ich auch so.
Mwebalenyo = Dankeschön

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